Reittherapie im Sicherheitszaun öffnet seelische Türen
LWL-Zentrum Eickelborn stellt eigenes Therapiepferd ein
Auf den Apfel hat Elvis schon spekuliert, das ist dem Wallach anzumerken, als der Patient seinen Arm hinter dem Rücken hervorzieht. Knackend verspeist das neue Therapiepferd des LWL-Zentrums in Eickelborn das kleine Begrüßungsgeschenk seines nächsten Kunden. Mit dem Rheinisch-deutschen Kaltblut hat sich die forensische Klinik des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) zum ersten Mal ein eigenes Therapiepferd zugelegt.
Reittherapeutin Lisa Klisch beobachtet die Begrüßungsszene lächelnd und überlässt dann dem Patienten die Führungsleine. Remse (Name geändert) ist einer von derzeit zwölf Patientinnen und Patienten, die regelmäßig an der Reittherapie auf dem parkähnlichen Klinikgelände teilnehmen. Gemeinsam mit der Reittherapeutin führt er das große, caramellfarbene Pferd zum Aufsatteln an den Pferdeanhänger. Remse hat sich aktuell aus vielen Klinikangeboten zurückgezogen, „weil mein Kopf Ruhe braucht“, wie er sagt. Schulunterricht, Sporttherapie, das setzt ihm alles derzeit sehr zu – aber die Therapiestunde mit Elvis, die will er nicht aufgeben.
Remse und Elvis sind schon gut eingespielt: Am Pferdeanhänger holt der Patient die Striegelbürste heraus und lässt sie mit langen Bewegungen durch das Fell gleiten. Zwischendurch streichelt er immer wieder über Hals und Rücken des Pferdes. „Durch die Begegnung mit dem Pferd werden ganz andere Saiten in den Patienten zum Klingen gebracht“, sagt Klisch. Sie spüren das weiche Fell und die Wärme des Tieres. Das Pferd reagiert ohne Vorbehalte und völlig wertfrei auf den Menschen an sich. „Das kann schon mal seelische Türen öffnen, die vorher lange verschlossen waren“, erklärt die ausgebildete Reit- und Voltigierpädagogin.
Dazu braucht es aber auch das richtige Pferd: „Nach Elvis haben wir lange gesucht“, erzählt Klisch. Ein Therapiepferd brauche ein ausgeglichenes, ruhiges Temperament, es müsse menschenbezogen sein und in diesem speziellen Fall auch groß und robust genug, um erwachsene Männer tragen zu können. „Elvis haben wir schließlich über das Internet auf einem Pferdehof in Hessen gefunden. Als Vierjähriger ist er noch jung genug für eine lange Karriere als Therapiepferd und er hat außerdem eine total freundliche Ausstrahlung“, schwärmt die 30jährige Pferdenärrin, die selbst von Kind auf im Sattel sitzt. Seit den Sommerferien wird Elvis nun langsam an seine neue Aufgabe herangeführt.
Nach dem Aufsatteln schwingt Remse sich auf den Rücken des Pferdes. Hoch oben reitet er nun gerade aufgerichtet neben der Reittherapeutin über das Klinikgelände. „Als ich das erste Mal hier auf dem Pferd saß, habe ich meine Würde gespürt, da habe ich mich frei gefühlt“, erinnert sich der Patient. Sonst werde ihm oft alles zuviel im Kopf, aber da habe er wieder geglaubt, dass alles gut werden könne, sagt der 31jährige. Er leidet unter einer Psychose, ist deswegen straffällig geworden.
Klisch, die auch studierte Sozialarbeiterin ist, fragt den Patienten, wie es ihm geht, wie er dieses oder jenes erlebt hat, was ihn aktuell beschäftigt. „Häufig kommen hier gute und offene Gespräche zustande“, erklärt sie. Die Psychotherapie überlasse sie aber den Fachtherapeuten, sagt sie entschieden. Bei ihr stehe der Umgang mit dem Pferd und das Reiten im Vordergrund. „Diese Erfahrungen mit dem Tier bilden manchmal eine Brücke zu Themen, da kommt was in Bewegung. Und das wird dann wieder in der weiteren Therapie bearbeitet.“
Die meisten forensischen Kliniken nutzten eher externe Angebote für die Reittherapie, erklärt Klisch. Sie könne dagegen mit Elvis auf das Klinikgelände kommen und innerhalb des Sicherheitszaunes arbeiten. „Dadurch können auch Patienten von dem Angebot profitieren, die noch keinen Ausgang haben“, erklärt Klisch. Elvis lebt in einem Offenstall des LWL-Wohnverbundes in Benninghausen. Schon vorher hat es eine Kooperation mit dem LWL-Zentrum gegeben. Nach wie vor wird Elvis manchmal von einigen Pferdekollegen des Wohnverbundes unterstützt. „Er ist ja quasi noch in der Ausbildung“, sagt seine Betreuerin lächelnd.
Für Klisch ist wichtig, dass ihr Therapiepferd weiter an Menschen interessiert und motiviert bleibt. „Wir machen ein wenig Ausgleichsarbeit am Stall, aber vor allem darf Elvis außerhalb der Dienstzeiten einfach Pferd sein“, sagt sie lachend, „und sich auf den Apfel von seinem nächsten Kunden freuen.“